Der Heizlüfter war eine tickende Zeitbombe
So lautet das vernichtende Urteil von Anton Muhr, dem ehemaligen Gutachter im Kaprun Prozess. Der Einbau des Heizlüfters in den Zug der Gletscherbahn habe im Jahr 2000 die Katastrophe in Kaprun verursacht. Das sei der größte Pfusch, den er je gesehen habe, erklärt er bei der Präsentation eines neuen Buches über die Tragödie. Diese Gefahrenquelle sei auch für Laien erkennbar gewesen.
Der eigene gesunde Hausverstand fragt sich, warum in so ein High Tech Gefährt, die Heizung nicht gleich mit eingebaut wird? Das hat jedes mickrige Auto, aber in eine Standseilbahn baut man erst nachträglich völlig stümperhaft ein Billiggerät ein. Direkt dahinter die Ölleitung. Und das Ding ist laut Gebrauchsanleitung nicht für den Einbau in Fahrzeugen geeignet.
2004 endet der Prozess mit Freisprüchen für alle 16 Beschuldigten. Richter Manfred Seiss argumentiert, keinem sei ein direktes Fehlverhalten, das zum Tod von 155 Menschen geführt hat, nachzuweisen. Der Heizstrahler hätte einen Konstruktions-, Produktions- und Materialfehler gehabt. Daraufhin fordert der Anwalt der Gletscherbahn Schadenersatz von der Herstellerfirma für die zerstörte Bahn! Schadenersatz! Für die Bahn! Der Akt wandert daher nach Deutschland.
Alles Aspekte, die man kennt, wenn man damals den Prozess verfolgt hat. Aber man ist erneut völlig gefesselt von dem Drama, und den unglaublichen juristischen Spitzfindigkeiten, die sich in diesem Zusammenhang abgespielt haben. Die österreichische Justiz und die Gletscherbahnen spielen darin eine eher unrühmliche Rolle. „155“ ist als Roman geschrieben, und während Autor Hannes Uhl daraus vorliest, ist man sofort gepackt von den Schicksalen.
Weil man weiß, dass Mathias und seine Freunde, die zum Snowboarden nach Kaprun gefahren sind, nicht mehr heimkommen werden. So wie viele andere auch, die diesen strahlend schönen Tag am Gletscher genießen wollten. Einige Angehörige sind im Saal anwesend. Eine Witwe äußert sich ablehnend gegenüber einer Neuaufrollung des Prozesses. Sie sieht die Gefahr, dass alte Wunden wieder aufgerissen werden. „Was passiert ist, ist passiert. Aber die Wahrheit soll endlich ans Licht kommen“.
Autor Hannes Uhl will weder die Region, noch das Unternehmen angreifen, aber: „Es soll nicht so getan werde, als habe es sich um Pech und einen Schicksalsschlag gehandelt“. Folgt man den Ausführungen des deutschen Sachverständigen, war dies sicher nicht der Fall. „Die Vorschrift schwer entflammbare Materialien zu verwenden wurde nicht eingehalten. Über Kontrollen wurde großzügig hinweg gesehen. Hier wurde grob fahrlässig gehandelt, eine kriminelle Situation“ erläutert er seine Expertise.
Das Ergebnis dieser Ermittlungen unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom Österreichischen Strafverfahrens. Es stellt fest, dass das Unglück nicht passiert wäre, wenn ein Heizlüfter eingebaut worden wäre, der für Fahrzeuge tauglich war.
Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat versuchte daher eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Ohne Erfolg. Selbst diese neuen Erkenntnisse änderten nichts an der Haltung der Österreichischen Justiz. Seit 2010 ist die Frist verjährt. Auch Danninger-Soriat ist in Zell am See anwesend. Sie erhebt Vorwürfe gegen Richter Seiss und erwähnt, dass die Anwälte der Angeklagten, allen voran der jetzige Justizminister Wolfgang Brandstetter einen ungewöhnlichen Einfluss im Prozess gehabt hätten.
Den Autoren des Buches wurde vor der Veröffentlichung zwar Klagen angedroht, bisher sei aber nichts geschehen, so Uhl. Das sei ihm zwar recht, andererseits wäre es wohl eine Möglichkeit, doch noch die Fakten vor Gericht zu präsentieren. Ein mutiges Buch, für das sich fast kein Verleger gefunden hätte. Sehr zu begrüßen, dass sich dank Familie Schwaninger vom Steinerwirt auch eine Möglichkeit gefunden hat, es in Zell am See zu präsentieren.
Anmerkung am Rand, die ich mir nicht verkneifen kann. Sorry, aber dass ein Autor bei so einem sensiblen Thema dadurch auffällt, dass er während der Veranstaltung Selfies produziert und seine Aufmerksamkeit zwischen Publikum und Handy schwankt … :-(
P. S.: Hannes Uhl ist rehabilitiert ;-) Er hat die Handysituation erläutert (siehe Kommentar) und bekommt dafür noch ein schönes Foto von der Lesung.