Das Unordnungs Jo-Jo
„Hallo, mein Name ist GudrundiePinzgauerin und ich bin ein Messie“.
Applaus im Saal.
Die anderen Teilnehmer der Selbsthilfegruppe für Krempel-Opfer heißen mich willkommen.
Ich schildere ihnen, wie schwer es mir fällt, mich von Gegenständen zu trennen. Auch wenn es nur Glumpert ist. Ich brauche professionelle Hilfe. Meine Leidensgenossen haben ähnliche Probleme. Wir leiden an der Horter-Sucht, die es uns unmöglich macht, Dinge weg zu werfen.
Ich bin quasi erblich vorbelastet. Viele Sachen in meinem Haus wurden schon von Generationen vor mir gesammelt.
Am Dachboden lagern Fenster aus mehreren Jahrhunderten. Unkrautvernichtungsmittel aus einer Zeit, als selbst die ärgsten Chemiebomben noch als Segen der Zivilisation betrachtet wurden. Säcke mit wertvollem Rosshaar, das noch immer darauf wartet zu Matratzen verarbeitet zu werden. Bottiche und Körbe für in der Landwirtschaft längst nicht mehr gebräuchliche Vorgänge. Holzrechen in allen denkbaren Varianten. Um nur einige Highlights zu nennen.
Wer könnte es mir also verdenken, dass ich dort auch meine sämtlichen Schulunterlagen von der Volksschule bis zur Matura deponiert habe. Sie wurden erst vor einigen Jahren dort untergebracht, um Platz zu machen für das Material des Studiums, das mehrere Regale in meinem Büro füllt, um nicht zu sagen verstopft … Es teilt sich den Platz mit Zeitungen, Zeitschriften, Briefen. Stapelweise. Im Grunde bin ich ein Papier-Junkie. Weihnachtsgrüße, Eintrittskarten, Ausstellungskataloge, Gebrauchsanweisungen, gar nicht zu reden von Notizblöcken – alles wird aufbewahrt. Seit Jahrzehnten. Zusätzlich zu jeder Schachtel, die ihren Weg ins Haus gefunden hat und die nicht entsorgt werden kann, weil man sie ja irgendwann nochmal brauchen könnte.
Das trifft übrigens auf sehr viele Gegenstände hier zu. Gar nicht zu reden von den mit Erinnerungen behafteten Sachen. Würde Frau Spira bei mir daheim drehen, sie würde reichlich Material für ihre schrägen Einstellungen finden: Plüschtiere, Nippes, Souvenir-Kitsch.
Wie die Maus aus Muscheln, die eine Volksschul-Freundin aus Rovinj mitgebracht hat. Das Ding hab‘ ich zwar nie gemocht, weil ich natürlich neidisch auf den Urlaub am Meer war. Als Bauernkind kannte man sowas ja nicht. Aber die Maus gibt es immer noch. Inzwischen auch zahlreiche andere Mitbringsel, für die ich selber verantwortlich bin…
Dann gibt es die Geschenke von Leuten, die einem einmal mehr oder weniger bedeutet haben. So hat die süße kleine Schachtel mit der Aufschrift „Remember Me“, vom ersten Freund, immer noch einen Ehrenplatz. Den Ring hab‘ ich ja leider anstandshalber wieder zurückgegeben. Mit 16 ist man so naiv und glaubt da würde noch was Besseres nachkommen. Ist es auch. Jetzt hab‘ ich eine Katze 🙂
Spätestens an dieser Stelle haben sich die LeserInnen vermutlich in zwei Lager gespalten. Jene, die verständnisvoll nicken, und schuldbewusst auf die eigenen Stapel schielen. Und dann vermutlich jene Ordnungshüter, die skrupellos sogar Zeitungen wegwerfen, die sie noch gar nicht gelesen haben! Auch wenn ich gerne betone, dass ich alles noch brauche und wieder anschaue und lese … langsam wird’s ungemütlich. Und ein bissl peinlich. Vor allem wenn man mit Gipshax untätig herumliegt, und auf fremde Hilfe angewiesen ist. Da fällt einem selber erst richtig auf, wie sich das Rumpelkammervirus im ganzen Haus ausgebreitet hat. Heimtückisch scheint es bereits jeden Raum befallen zu haben.
Dabei wurde das Haus zuletzt vor zehn Jahren komplett entrümpelt. Naja, komplett entrümpelt ist wohl etwas übertrieben, aber nennen wir es eine weit reichende Entsorgungsaktion. Sie war durch eine schlimme Mäuseplage nötig geworden. Die kleinen Monster hatten es ausgenutzt, dass ich in Wien lebte und das Haus in meiner Abwesenheit in Beschlag genommen. Kabel, Vorhänge, Plastikdosen, Bücher, sie waren nicht wählerisch, haben alles angenagt. Müssen wohl verzweifelt gewesen sein, denn Essbares war nicht vorhanden. Als ich dann sogar ein Nest in meinem Bett entdeckte, hab‘ ich ihnen den Kampf angesagt. Bei der Gelegenheit wanderten nicht nur Matratzen, Tuchent und die von den Mäusen ruinierten Geräte in den Müll, es wurde erstmals auch bislang unantastbarer Krempel entsorgt.
Zehn Jahre danach ist der Jo-Jo-Effekt eingetreten. Papier in jeder Form bedeckt wieder Böden, Tische, Regale. Ich muss mir eingestehen, dass ich eventuell unter einer leichten Form von Messie-Syndrom leide. Das eingangs beschriebene Szenario wird hoffentlich trotzdem nicht eintreten. Es gibt zwar tatsächlich Selbsthilfegruppen für Messies, nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker. Aber ich hab‘ noch nicht das Gefühl, mich in einem krankhaften Stadium zu befinden 😉
Das denken wahrscheinlich alle, aber im Gegensatz zu vielen argen Messie-Fällen, die auch Haustiere horten, habe ich erst eine Katze. Von mir aus könnten es zwar ruhig mehr sein, aber das wüsste der eifersüchtige Lauser sicher zu verhindern.
Statt der Selbsthilfegruppe greife ich vorerst also zum professionellen Ratgeber. „Magic Cleaning“ klingt viel-versprechend! Der Untertitel „Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert“, deutet zwar eher darauf hin, dass es sich um eins dieser Selbsthilfebücher handelt, die mir gleich versprechen wollen, wie ich ein besserer Mensch werde, obwohl ich nur wissen will wie ich meinen Krempel entsorge und verhindere, dass er sich dann wieder breit macht! Das TIME Magazine zählt die Autorin aber zu den 100 einflussreichsten Menschen auf der Welt! (Das sagt mir, dass der Messiervirus noch viel gefährlicher ist als ich dachte!) Die Rezensionen sind entsprechend euphorisch „Ich bin glücklicher als je zuvor!“, „Das Buch hat mein Leben verändert“…
Michaela Gründler, Chefin der Salzburger Straßenzeitung „Apropos“, hat mit dieser Methode einen Selbstversuch gestartet und beschreibt begeistert ihre Erfahrungen mit dem Entrümpelungsprozeß: „Ich weiß nun genau, in welchem Regal meine Haruki-Murakami- und Harry-Potter-Bücher stehen, und habe im Kleiderschrank einen sofortigen Überblick über mein Gewand – und freue mich über dieses befreiende Gefühl, das mich glücklich macht“.
Schön für alle, die das wollen, aber ich möchte nur aufräumen und endlich wieder mal auf einem leeren Tisch essen, ohne vorher Zeitungen, Magazine und Bücher entfernen zu müssen. Glück spielt für mich in einer anderen Liga. Allerdings erfahre ich bei der Lektüre von „Magic Cleaning“, dass ich jeden (!) Gegenstand in meinem Haus fragen muss, ob er mich glücklich macht. Wenn nicht muss ich mich von ihm trennen! Hilfe, was mache ich dann ohne Klobesen? Also abgesehen von der Sinnhaftigkeit scheint mir dieses System wenig praktikabel. Vor allem kann ich es auf keinen Fall auf meine Bücher anwenden. Bücher sind heilig und unantastbar. Sie können nicht weggeworfen werden. Niemals könnte ich – wie Gründler es beschreibt – einen Karton voll Bücher auf den Boden kippen, so dass diese drunter und drüber purzeln! Schrecklich. Merke, auch Messies können ordentlich und pedantisch sein wie Mr. Monk. Bücher müssen respektvoll behandelt werden, sie dürfen keine Eselsohren haben, Kaffee- und andere Flecken sollten tunlichst vermieden werden. Ich beschließe also, dass Bücher mich glücklich machen um alles zu retten. Alle. Egal ob gut oder schlecht, fad oder interessant.
Neugierig geworden checke ich den Ratgebermarkt. Es gibt eine Fülle an Selbsthilfeliteratur, die Methoden ähneln sich, die meisten anderen schlagen vor wegzuwerfen was man im letzen Jahr nicht mehr getragen oder benutzt hat. Nur, wie soll man das wieder umsetzen? Dann müsste ich ja auch meine Trachten wegwerfen, die ich nur alle heiligen Zeiten ausführe. Ich finde nichts, was mir brauchbar erscheint. Das heißt ich werde mein eigenes System entwickeln müssen. Dann schreibe ich einen Bestseller und helfe anderen Betroffenen …
Vorerst kann ich mich leider noch nicht an die praktische Umsetzung machen. Das Sortieren und Aufräumen muss noch warten, bis ich wieder mobil bin. Das gibt mir Zeit, mich schon mal gedanklich von einigen Gegenständen zu trennen … Bin gespannt ob mir dann tatsächlich der Abschied gelingt. Hiermit appelliere ich jedenfalls an alle Leserinnen und Leser das Messiemonster nicht mehr zu füttern. Bitte mir nichts mehr schenken, was nicht konsumiert und verbraucht werden kann. So wie man einem Alkoholiker nicht mal eine Rumkugel anbietet, darf man einem Messie keine neue Nahrung für Unordnung liefern!
Danke für euer Verständnis!
P.S.: Die weinende Puppe oben hab‘ ich seit Kindheitstagen. Sie war mir immer unsympathisch. Weil meine Schwester hatte die gleiche in gelb und lachend. Aus nostalgischen Gründen sollte ich sie behalten. Aber sie macht mich definitiv nicht glücklich … Was tun?
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