Unschuldiger Täter
Behaglich rollt sich Geronimo auf dem Bürosessel in eine gemütliche Position. Es gibt bequemere Plätze in seinem neuen Heim, kuschelige Polster und Höhlen, extra für Katzen. Aber er fühlt sich auf diesem Sessel wohl. Dem Mensch ist das nicht recht, das spürt er. Nicht dass er nur deswegen hier liegen würde, das wäre kindisch. Aber es erfüllt ihn mit Genugtuung, wenn der Mensch aufgibt, ihn weglocken zu wollen, und sich zum Schreiben an den Küchentisch setzt.
Wenig später wird Geronimo es sich ohnehin anders überlegen, und sich am Boden auf dem dicken Teppich genüsslich ausstrecken.
Er ist stolz auf sich. Dieses Heim hat er sich hart erkämpft. Manche würden sagen mit unredlichen Mitteln, aber ein schlechtes Gewissen hat er deswegen nicht. Lange Jahre hat er auf dem Nachbarhof gelebt und war zufrieden mit diesem Platz. Es ging ihm gut, er erholte sich langsam von den Strapazen seines früheren Daseins als Streuner. Nur ungern denkt er an diese Zeit zurück, als er auf den Straßen in der Stadt hausen musste.
Nicht nur der mühsame Kampf um Nahrung hatte ihm zu schaffen gemacht. Geronimo wünschte sich Personal, das ihm Streicheleinheiten verpasste. Er war neidisch auf alle Katzen, die er auf seinen Streifzügen traf, und die ein schönes zu Hause und eine eigene Familie hatten. Manchmal verschaffte er sich Zutritt zu diesen Plätzen und beobachtete, wie diese Kerle verwöhnt wurden. Wenn er entdeckt wurde bekam er ab und zu auch ein paar Leckerli und nette Worte. Aber in der Regel wurde er verjagt, auch Fußtritte waren nicht ungewöhnlich.
Eines Tages traf ihn das Schicksal besonders hart. Abgelenkt von einer hübschen Fellnase hatte er nicht auf den Verkehr geachtet, und war von einem Auto angefahren worden. Trotz stechender Schmerzen, und obwohl er seine hinteren Beine nicht mehr bewegen konnte, schleppte er sich an den Straßenrand. Er wusste was das bedeutete. Er hatte schon genug Kameraden so verenden sehen und machte sich keine Illusionen. Sein Traum von der eigenen Familie würde sich nicht mehr erfüllen. Er würde hier verrecken, wahrscheinlich qualvoll, auch das hatte er schon oft genug miterlebt. Seine eigene Mama war so gestorben. Damals waren seine Geschwister und er noch sehr klein, aber diesen schrecklichen Moment würde er nie mehr vergessen. Daher hatte er großen Respekt vor diesen stinkenden Fahrzeugen und versuchte ihnen möglichst aus dem Weg zu gehen. Nun hatte es ihn doch erwischt. Erschöpft schloss er die Augen und träumte von seiner Mama, die so gut gerochen hatte.
Als er die Augen wieder öffnete, blendete ihn grelles Licht. Es war laut und er hatte Schmerzen. Wo war er? Wie sich heraus stellte hatte ihn eine gute Seele ins Tierheim in Salzburg gebracht. Da schien er wohl Glück im Unglück gehabt zu haben. Es war ein Platz, wo es ihm trotz der großen Konkurrenz gut gefiel, denn zum ersten Mal in seinem Leben kümmerten sich Menschen um ihn. Sie gaben ihm auch einen Namen, Geronimo. Er konnte sich nicht erklären, warum sie ausgerechnet den Namen eines legendären Apachen Häuptlings ausgesucht hatten. Vielleicht weil der ein zäher Kämpfer war? Leider durfte man hier nicht auf Dauer bleiben, wie er hörte. Als seine Verletzungen verheilt waren – eine leichte Behinderung blieb ihm erhalten – sollte er vermittelt werden.
Es fand sich ein junges Paar, das ihn mitnehmen wollte. So lange hatte er gehofft und von seinem eigenen Heim geträumt! War er endlich am Ziel? Es schien anfangs auch wirklich gemütlich. Sie hatten eine Wohnung irgendwo am Land, Pinzgau nannten sie das. Es gab genug zu fressen und die neuen Mitbewohner schienen ganz nett. Allerdings wollten sie ihn auf keinen Fall nach draußen lassen, damit er nicht wieder einen Unfall haben würde.
Er saß am Fenster und sah grüne Wiesen, herrliche Bäume zum Klettern, aber er durfte nicht hinaus. So sehr er auch probierte und bettelte, er war hier eingesperrt. Das war unerträglich, nicht nur weil ihm das Vergnügen versagt wurde, in diesem Paradies herumzustreifen. Er konnte nur in der freien Natur auf’s Klo gehen. Diese komische Kiste, die sie ihm immer wieder zeigten, konnte er auf keinen Fall benutzen. Er war nun mal ein Streuner und kein verhätscheltes Haustierchen. Gut dass es zumindest ein paar grüne Pflanzen in der Wohnung gab, die konnte er in der Not benutzen. Das passte denen aber gar nicht, sie schimpften heftig mit ihm und nannten ihn nur noch Lauser. Das fand er beleidigend und er verstand die Aufregung nicht. Wäre ihnen lieber er würde auf dem Teppich sein Geschäft verrichten?
Während er auf ein Einsehen ihrerseits hoffte, drohten sie damit ihn wieder ins Tierheim zu bringen. Seine Quartiergeber brachten ihn schließlich bei Verwandten auf einem Bauernhof unter. Hier fand er endlich sein Katzenparadies. Das musste er zwar mit drei weiteren Katzen und einem Hund teilen, aber das nahm er gern in Kauf. Dafür gab es immer reichlich zu fressen und absolute Freiheit. In der Nachbarschaft waren noch drei Höfe mit einigen Katzen, und auch wenn es immer wieder zu kleinen Streitigkeiten und Eifersüchteleien kam, hatte er hier ein entspanntes Dasein.
Soweit er das beurteilen konnte, lebte er einige Jahre dort, bis seine Welt wieder aus den Fugen geriet. In seiner Zeitrechnung orientierte er sich an diesem komischen Fest, an dem sie plötzlich im Haus einen großen Baum aufstellen und dort herrlich glitzernde Kugeln dran hängen. Der Zutritt zum Haus war zwar nicht erlaubt, was eigentlich ziemlich unfair war, weil der Köter dort auch aus und ein ging, aber ab und zu gelang es ihm natürlich einen Blick hineinzuwerfen. Der Baum war unglaublich faszinierend, zu gern wollte er diese Kugeln fangen, aber komischerweise kippte der so leicht um, was Bäume doch normal nie taten. Da hieß es dann schnell die Flucht ergreifen, es war klar, dass das der Bäuerin nicht gefallen würde.
Voriges Jahr tauchten dann plötzlich Probleme auf. Angefangen hatte es damit, dass bei der Nachbarin ein kleines rotes Kätzchen eingezogen war. Dieser komische Kerl brachte das mühsam errichtete soziale Katzengefüge in der Ortschaft völlig durcheinander.
Der hatte keine Ahnung von den Regeln und beachtete sie auch nicht, als man höflich versuchte sie ihm beizubringen.
Er konnte diesen verwöhnten Fratz nicht leiden. Kannte keine Grenzen, wollte immer nur spielen und tat als wäre man befreundet! Ha, er der Lauser, würde sich doch nicht mit so einer Hausmieze anfreunden. Dieser Angeber prahlte sogar damit, dass er im Haus leben durfte, während alle anderen Katzen in der Gegend im Stall bleiben mussten. Sogar im Bett seines Mensch durfte er angeblich schlafen. Unvorstellbar.
Dieser rote Tiger ging ihm auf die Nerven. Noch dazu weil er bei sich daheim zunehmendem Stress ausgesetzt war. Die hatten doch tatsächlich noch so einen komischen Hund angeschafft. Wozu war ihm ein Rätsel. Jetzt hatte er es nicht nur mit dem alten Vieh zu tun, sondern der Junge war noch viel lästiger. Zu allem Unglück brachte die junge Bäuerin dann noch eine neue Katze mit. Noch eine Katze mehr, mit der man sich arrangieren musste. Das war zuviel für den Lauser.
Er musste sich etwas einfallen lassen. So konnte das nicht weitergehen. Er war ja nicht mehr der Jüngste, er brauchte seine Ruhe. Die alten Leiden von dem Unfall machten ihm zu schaffen, er sah nicht mehr besonders gut, Kreuzschmerzen quälten ihn ständig. Kurzum, er war grantig, und das ließ er vor allem diesen Tiger spüren. Obwohl der so tat als würde er gar nicht merken, dass er unerwünscht war. Auch machte das Biest keine Anstalten, sein Revier verteidigen zu wollen. Dem musste man eine Lektion erteilen, wie sich Katzen zu verhalten hatten.
Also beschloss er einen Schritt weiter zu gehen und begann den Kerl ein bisschen mehr zu provozieren. Wenn die Haustür offen war, spazierte er seelenruhig hinein, bediente sich aus dem Fressnapf des Nachbarn und legte sich in dessen Kissen. Das machte allerdings weniger Spaß als er gehofft hatte, weil der Kater zwar merklich aufgeregt war, ihn aber nicht verjagte.
Daher wiederholte er dieses Spielchen ein paar Tage lang und wurde immer aggressiver. Manchmal schimpfte der Mensch mit ihm und versuchte den Tiger zu verteidigen, aber er hörte aus der Stimme der Frau, dass sie nicht wirklich böse war. Sie schien das auch lustig zu finden. Das bestärkte ihn, den Kleinen noch mehr einzuschüchtern.
Aber ehrlich, was dann passierte hatte er nicht gewollt. Wirklich nicht. Woher hätte er denn wissen sollen, dass der Typ so sensibel ist und einfach umkippt! Stand nicht mehr auf. Erst hatte er noch gedacht das wäre ein Trick, aber er rührte sich nicht mehr. Direkt vor der eigenen Haustür. Er hatte sich doch nur einen Spaß mit ihm machen wollen. Stänkerte eben ein bisschen. Kann sein, dass er ihn daran hindern wollte ins Haus zu klettern. Also nicht wirklich hindern natürlich, aber ein leichter Stupser … Und plötzlich fällt der um und rührt sich nicht mehr. Auch der Lauser hatte jetzt einen Schreck, was hatte er bloß getan!
Er hatte nicht gewollt, dass der Tiger sterben sollte. Das nicht. Schon gar nicht, dass der Mensch so traurig sein würde. Andererseits war das die Gelegenheit für ihn, Geronimo, nun die Annehmlichkeiten zu genießen, die der verwöhnte Kerl für selbstverständlich gehalten hatte. Dabei ging er sehr diplomatisch vor, um keinen Verdacht zu erwecken. Anfangs kam er nur in der Früh vorbei, bettelte dezent um Futter und machte es sich dann in dem Polster im Vorhaus gemütlich. Abends spazierte er wieder zu sich nach Hause und suchte sich einen Platz im Heu. Als es kälter wurde, fand er das bald zu beschwerlich.
Es war an der Zeit, die Beziehung zu intensivieren. Er folgte dem Mensch in die geheizte Küche und machte klar, dass er ab nun gedachte hier zu bleiben. Herrlich, das Feuer im Ofen knisterte, und er breitete sich genüsslich davor aus. Er wusste, dass diese Person ein weiches Herz hatte, der Tiger hatte das oft genug erzählt. Daher spekulierte er darauf, dass sie ihn nicht verjagen würde, obwohl er … Tatsächlich schien sie seine Anwesenheit stillschweigend zu akzeptieren. Allmählich wurde sie sogar richtig zutraulich, vor allem wenn er laut schnurrend um ihre Beine strich und sich vor ihr auf den Rücken warf!
Inzwischen ist wieder die Zeit des Baumes gekommen. Es ist ein seltsames Gestrüpp, riecht überhaupt nicht nach Holz und ist kaum größer als er selber. Wenigstens gibt es viele glitzernde Kugeln, das gefällt ihm gut, aber es macht ihm nicht mehr richtig Spaß damit zu spielen. Erstens ist es hier nicht verboten, daher weniger reizvoll. Und als Seniorkater interessiert ihn nur noch sein Fressnapf und ein gemütlicher Ruheplatz.
Von hier aus beobachtet er aus halb geöffneten Augen seinen Mensch, wie er mit den Fingern immer wieder auf diesen kleinen Kasten klopft. Arbeit nennt er das. Das kommt ihm seltsam vor, wie so vieles was der Mensch tut. Aber er fühlt sich ausgesprochen wohl hier. Den unerfreulichen Vorfall mit dem Tiger hat er längst verdrängt. Er weiß, dass der Mensch einen leisen Verdacht hat … aber natürlich glaubt ihm niemand. Die Leute vermuten einen Autounfall oder Gift als Ursache für den plötzlichen Tod des roten Kerls. Wer würde denn eine alte kranke Katze verdächtigen, die noch dazu die arme Pinzgauerin so nett über den Verlust tröstet. Das ist doch so süß … Oder?
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