Lieber Tiger
endlich liegst du auf meinem Schoß, wie ich mir das immer gewünscht habe. Leider hast du das überhaupt nicht gemocht. Als Baby, da wolltest du stundenlang bei mir kuscheln, während ich am Computer geschrieben habe. Am liebsten direkt auf meinem Arm, damit ich nicht mehr tippen kann. Ganz am Anfang, als du eingezogen bist, da hast du dich ausgerechnet auf die Tastatur legen wollen, weißt du noch? Ich hatte damals null Erfahrung mit Katzen, keine Ahnung, warum du das tust, und ob das für immer dein Lieblingsplatz bleiben würde. Hab‘ mir nicht anders zu helfen gewusst und in der Tierhandlung gefragt, wie ich dich dort wieder weglocken könnte.
Das hab‘ ich dir nie verraten, aber stell dir vor, die haben mir doch tatsächlich einen Spray zur Abschreckung empfohlen. Das mögen Katzen nicht, hat die Tussi erklärt. Als hätte ich meinen neuen Mitbewohner, mit dem ich mich anfreunden wollte, auf so bösartige Weise behandelt. Wir haben das auf sanftere Art gelöst. Irgendwann hast du verstanden und akzeptiert, dass dein Mensch arbeiten muss. Da bist du von der Tastatur auf meinen Schoß gewandert. Das war für uns beide ein angenehmer Kompromiss, aber leider hast du bald beschlossen, dass du dafür zu erwachsen bist. Plötzlich wolltest du auch nicht mehr gern gestreichelt werden. Böse Zungen behaupten, du hättest mir nicht verziehen, dass ich dich damals zum Doc gebracht habe. Ja ich weiß, es hat dir nicht gefallen, dass er an dir herumgeschnipselt hat, aber warst du wirklich deswegen so nachtragend?
Jetzt darf ich dich endlich streicheln. So lange ich will. Aber du bist nicht mehr kuschelig und warm.
So plötzlich und überraschend wie du letztes Jahr in mein Leben getreten bist, hast du mich heute wieder verlassen.
Es quält mich, dass ich nicht weiß warum. Ich wollte dich suchen, habe mir Sorgen gemacht, weil du am Abend nicht heimgekommen bist. Vor der Haustür habe ich dich gefunden. Leblos. Ohne Zeichen einer Verletzung. Ich kann mir nicht erklären, was mit dir passiert ist. Hast du leiden müssen? Hast du versucht dich nach Hause zu retten und ich hab‘ dir nicht helfen können?
Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich jemals so an dir hängen würde, kleiner Lauser. Dass ich dich so bedingungslos lieben würde, mit all deinen Macken und seltsamen Angewohnheiten. Trotz deinem Spleen mit den Knuspertaschen. Kein anderes Fressen war gut genug für dich, meinen verwöhnten Fratz. Akribisch hast du dir die Leckerlis aus der Schüssel rausgesucht. Alles andere stehen gelassen. Tagelang. Hast mit Vorliebe Eidechsen heim gebracht und so lange mit ihnen gespielt bis sie dir entkommen sind. Und dann mich gebettelt, dass ich dir suchen helfe.
Als ich mich damals Hals über Kopf in dich verschaut habe, da konnte ich mir ein Leben mit einer Katze noch gar nicht vorstellen. Ich, die Vegetarierin, mit einem Fleischtiger! Wie sollte das gut gehen. Überall deine Haare, grausig. Die Nachbarin hat mich vor deinen Zecken gewarnt, erfahrene Katzenmenschen darauf hingewiesen, dass du deine Beute ins Haus bringen würdest. Abschreckend genug, möchte man meinen. Ich wollte es trotzdem mit dir probieren. Liebe auf den ersten Blick eben.
Aber mit strengen Regeln natürlich. Schlafzimmer und Küche selbstverständlich tabu. Hat nicht mal eine Woche gedauert, bis du dir das Bett erobert hast. Ein paar Tage später warst du schon am Esstisch. Bist mir überhaupt auf Schritt und Tritt gefolgt. Jetzt kann ich es dir ja sagen, ein bisschen nervig war das anfangs schon für mich. Es hat gedauert, bis ich mich langsam an deine Anwesenheit gewöhnt habe. Mich schon darauf gefreut habe heimzukommen, und von dir freudig erwartet und begrüßt zu werden.
Jetzt, wo ich dich wahnsinnig vermissen werde, muss ich mich wieder von dir trennen!
Was soll aus dem Provinzecho werden, ohne seinen roten Star?
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